Bitterkeit – und wie sie uns von unserem Kurs abbringt

Wie können einen Bitterkeit und schlechte Ereignisse vom Kurs abbringen? Bereits Aristoteles hat in seiner Nikomanischen Ethik geschrieben:

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„Verbittert ist der schwer zu Versöhnende, der lange den Zorn festhält; er verschließt die Erregung in seinem Innern und hört damit erst auf, wenn er Vergeltung geübt hat. Denn geübte Vergeltung beschwichtigt die Erregung, indem sie das Gefühl des Schmerzes durch ein Gefühl der Befriedigung ersetzt.“

Wer also in der inneren Haltung der Verbitterung bleibt, hat Mühe da wieder rauszukommen. Wenn er sich letzten Endes immer wieder über das Leben beklagt, wird er Sätze sagen wie: „ich habe einen dicken Hals“ oder „dass immer mir so etwas passiert“.  Man erlebt einen solchen Menschen als die permanent beleidigte Leberwurst.

 

Bitterkeit ist hartnäckig

Das heißt, man geht immer mehr in eine bestimmte Haltung rein, die nicht öffnet, sondern verschließt. Nicht Verbundensein mit der Welt, sondern mangelnde Resonanz erzeugt. Das gibt’s auch wiederkehrend. Dafür steht der Satz: „da kommt mir immer wieder die Galle hoch“. Das ist, wenn man immer wieder an die auslösende Situation zurückdenkt und sich fragt „wo habe ich Verbitterung erlebt, wo war der Punkt?“

Und da gibt es ja zwei Möglichkeiten. Es gibt einmal die Möglichkeit, dass sie den Augenblick genau benennen können, dass sie sagen können „in dieser Sekunde, da ist mein Lebenstraum zerplatzt, da habe ich mich aus dem Leben gerissen gefühlt. Und ich kann es genau sagen: Von da an, war mein Leben anders“.

Die zweite Möglichkeit ist, dass man es manchmal auch gar nicht sagen kann. Dass Lebensträume nicht zerplatzen wie ein Luftballon, sondern dass sie sich langsam davonschleichen. Dass man gar nicht mehr merkt, wann sie eigentlich gegangen sind, man kann es gar nicht zurückverfolgen, weil es diesen einen Punkt nicht gab. Schritt für Schritt verabschiedete sich der Lebenstraum und ging in eine unerreichbare Ferne.

Ich habe eine Frau begleitet, die ihr Kind verloren hat. Und das ist absolut – auch für meine Vorstellung – das Bitterste und Härteste, was einem passieren kann. Es war durch einen Unfall passiert und es gab einen Prozess. Wie so Prozesse sind, für die Opfer und Betroffenen – und erst recht die Eltern – stellen sie eine Genugtuung oder eine Wiederherstellung dessen dar, was sie verloren haben. Denn das Wertvollste ist weg und in dem Fall war das Urteil auch noch so milde, dass es die Frau nur mehr verbitterte. Das Gefühl vertiefte sich und wurde nur weiter lebendig gehalten, was eine tiefe Haltung des Grolls hervorbrachte.

 

Etymologischer Hintergrund der Bitterkeit

Wenn man sich die Bedeutung des Wortes Verbitterung tatsächlich einmal vor Augen führt, dann heißt es sowas wie Vergellen, den eigenen Groll über das eigene Schicksal oder über das eigene Unrecht und etymologisch hat Verbitterung mit dem Wort Beißen zu tun. Es ist nochmal ein Unterschied, ob jemand eine kurzfristige Bitterkeit empfindet und darüber hinwegkommt oder ob sich das tief in einen Menschen einbuddelt, ihn trostlos macht, bitter macht. Dass man krank und enttäuscht darüber wird, weil eben ein zentraler Wunsch, wie dass ein Mensch zurückkommt oder dass der Lebenstraum wieder instandgesetzt wird, sich einfach nicht erfüllen wird.

Und besonders bitter ist es eben, wenn man erlebt, dass das auch noch durch einen dritten Menschen verursacht ist, dass jemand die Schuld hat oder sich schuldig gemacht hat. Nur hat dieser dritte sich vielleicht an dem Verlust des Menschen schuldig gemacht, nicht aber an der Verbitterung der Angehörigen.

 

Die permanente Wut überwinden

Menschen, die verbittert sind, haben oft innerlich permanent eine Wut in sich, Wut, die sich gegen andere, gegen sich und alles Mögliche richtet. Wie bei Don Quichotte, der gegen Windmühlen gekämpft hat. Verbitterte Menschen haben ein ungeheures, inneres Aggressionspotenzial, das sie leider dann auch krank macht. Es wirkt dann manchmal, als wären sie wie depressiv, dabei sind sie innerlich eher geladen und wütend.

Das ist dann etwas, was sie komplett von ihrem Lebenskurs abbringt und solche Menschen brauchen oft eine lange und intensive Begleitung, um wieder auf Kurs zu kommen und sich auch wieder etwas zu trauen. Weil Leben heißt, sich etwas zu trauen. Denn wenn ich einen neuen Lebenstraum in den Blick nehme, gehe ich auch das Risiko ein, diesen zu verlieren oder diesen wieder zu verlieren und eigentlich reicht es auch gar nicht, diesen neuen Lebenstraum in den Blick zu nehmen, sondern man muss auch eine neue Lust am Leben empfinden und das ist wahrlich rasend schwer.

Eine Frau hat nach einer nach einer Begleitung durch mich geschrieben, dass sie sich nie hätte vorstellen können, in ihrem Leben nicht mehr verbittert zu sein und wir haben an diesem Punkt knapp drei Jahre gearbeitet, bis sie wieder halbwegs aus dieser Bitterkeit herausgekommen ist. Das heißt nicht, dass sie den Verlust, der darin steckte, schon völlig verarbeitet hatte, nur sie war wieder ein Stück offener, sie konnte damit wieder umgehen, sie konnte damit leben und sich sagen: „ich bin nicht mehr verbittert, ich muss nicht mehr gegen Windmühlen kämpfen. Ich habe einen Teil meiner Wut, die völlig ungelenkt und völlig unproduktiv da war, verloren. Ich kann es wagen nach vorne zu schauen und kann mir wieder zumuten einen neuen Weg in meinem Leben zu finden“.

Nelson Mandela hat mal gesagt, dass er seine Wut gegen das Apartheits-Regime genutzt hat, indem er sie seiner Kraft zugeführt hat. Das ist doch ein Vorbild! Ein Mann, der über viele Jahrzehnte in ein Gefängnis geworfen wurde, völlig zu Unrecht, nur weil er eine andere politische Meinung hatte.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie nie in eine tiefe Bitterkeit kommen, dass das Leben euch nie euren Lebenstraum raubt und wenn, wünsche ich euch Menschen, die euch begleiten und dabei helfen, den Mut wieder zu finden, sich wieder verbunden zu fühlen mit dieser Welt und nicht in der Opferrolle zu verharren.