Menschen brauchen Menschen

Menschen werden zu Menschen, dadurch, dass sie sich selbst wahrnehmen und dass sie von anderen wahrgenommen werden. Gesehen zu werden, ist ein ganz elementares, menschliches Grundbedürfnis. Aktuell in Zeiten von Lockdown, Covid-19 und jeder Menge Homeoffice, wird dies ein schwieriges Thema und stellt hohe Herausforderungen besonders an die Führungsqualitäten.

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Da ruft zum Beispiel ein Mitarbeiter aus dem Homeoffice an und sagt: „Eigentlich wollte ich nur mal nach dem Stand des Projektes fragen.“ Wenn ein Mitarbeiter so fragt, will er vermutlich etwas über den Stand des Projektes wissen. Aber ist das wirklich alles?

Menschen brauchen Menschen und wollen gesehen werden. Beim oben genannten Beispiel wird deutlich, dass es dem Mitarbeiter um noch etwas anderes geht. Das ist einfach so in der aktuellen Situation mit Homeoffice. Denn es fehlt das „Hallo“ am Morgen, der gemeinsame Kaffee, die kurze Info und der der Blick, das Dasein, das dazugehörig fühlen. Sich einfach nur mal gegenseitig zu vergewissern: Wo bist du? Wo bin ich? Wie siehst du heute aus? Wie sehe ich heute aus? Nicht, um ein Werturteil abzugeben, um beispielsweise Kleidung zu beurteilen, aber um den anderen zu spüren. Andere sehen und gesehen werden. Das ist das, was wir brauchen und was aktuell vielen Menschen fehlt.

Rückfütterung an die Seele
Sich nicht gesehen fühlen, beeinflusst mehr, als man gemeinhin denkt. Und sich „gesehen“ zu fühlen, ist mehr als nur die optische Wahrnehmung. Es bedeutet, den Menschen als Ganzes wahrzunehmen, es ist eigentlich eine Art von Feedback. Und wenn wir Feedback ins Deutsche übersetzen, dann heißt Feedback „Rückfütterung“.
Demzufolge ist der Blick, die Wahrnehmung und das Ansprechen immer eine „Rückfütterung“ an die Seele eines jeden Menschen, eines jeden Mitarbeiters, einer jeden Mitarbeiterin. Dies brauchen wir alle, um uns zu fühlen. Um zu wissen: Wo bin ich? Wo stehe ich? Was ist gerade wichtig, was ist gerade dran?

Untersuchungen zeigen, dass Menschen im Homeoffice eher mehr als weniger leisten. Mehr Output haben, als wenn sie im Büro sind. Aber es ist auch ein Missverhältnis, wenn Menschen sich auf der einen Seite weniger gesehen fühlen, weniger gesehen werden, weniger wahrgenommen werden, wie sie sind und weniger „Rückfütterung“ bekommen. Aber auf der anderen Seite viel mehr leisten.

Untersuchungen zeigen auch, dass Menschen, die sich nie gesehen fühlen, sich recht schnell übergangen fühlen – ja man weiß sogar – tatsächlich übergangen werden. Ein großes Problem!
Eigentlich wollte ich mich nur über den Stand des Projektes informieren, das ist doch auch etwas, was Sie als Führungskraft von sich selbst kennen: Sie sind beispielsweise in einer fremden Stadt unterwegs und fragen nach dem Weg. Gut, dann wollen Sie sicher wissen, wo es langgeht, keine Frage! Aber wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, spüren Sie auch diese kleine Unsicherheit in sich? Nicht zu wissen, wo geht es gerade wirklich lang? Diese Orientierungslosigkeit oder sogar schon Verzweiflung?
Gerade Führungskräfte fragen andere Menschen nur, wo es langgeht, wenn Sie diese Unsicherheit auch in sich zulassen und spüren können.

Diese Unsicherheiten sind nur dann wahrzunehmen, wenn wir direkten Kontakt zu unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen haben. In der aktuellen Situation mit Homeoffice, sind die Anforderungen an Sie als Führungskraft noch einmal ganz andere, als wenn Sie Ihre Mitarbeiter fühlen, sie sehen und wenn Sie die Atmosphäre spüren.

Auch die Menschen im Homeoffice wollen „rückgefüttert“ werden, denn Menschen brauchen Menschen, um Mensch zu sein.

Sie als Führungskraft tragen viel Verantwortung. Viele Stunden werden im Homeoffice gearbeitet. Das bedeutet, was Menschen da bringen, was sie produzieren, ist ein großer Teil ihres Tages. Ein großer Teil ihrer täglichen Identität, ihres Seins.
Achten Sie darauf wenn ein Mitarbeiter eigentlich „nur“ mal nach dem Stand des Projektes fragen will. Sehr sicher will er gesehen werden und Sichtbarkeit für sich erzeugen, denn Menschen brauchen Menschen.